Stumme Zeugen des Lagers Haldenwies (1944 – 1945) sind die noch heute zugänglichen „Bunker“ auf dem Gelände der Jugendfarm. Diese Deckungsgräben sollten als Luftschutzunterstände bei Fliegerangriffen dienen, konnten aber nur vor Bombensplittern schützen. Innen an den Wänden standen Bänke und nach der ersten Ecke gab es eine Toilette. Die fast vollständig erhaltene Anlage ist einmalig in Stuttgart. Der Gang ist nicht eng und er kann beleuchtet werden, man kann aufrecht darin gehen. Einer der sogenannten Bunker wird heute als Rübenkeller genutzt, der andere wird täglich von Kindern als dunkle Höhle erforscht.
Das Lager Haldenwies war nur eines von über 120 Zwangsarbeiterlagern in Stuttgart. Manche Bewohner der Lagers Haldenwies arbeiteten und wohnte bis 1944 wahrscheinlich im Daimler-Werk in Sindelfingen. Bei Bombenangriffen wurde das Werk zerstört, daraufhin wurden die Zwangsarbeiter vom Hochbauamt der Stadt Stuttgart angefordert und ins Lager Haldenwies verlegt. Die Arbeiter mussten die Bombenschäden in Stuttgart beseitigen.
Zeitzeugenzitat von Galina Wasiljewna Dmitrijewa: „Im August 1943 wurde unsere ganze Familie nach Deutschland geschickt. Ich hatte schon eine Tochter. In der Stadt Bietigheim stiegen wir aus. Sowohl Menschen als auch Sachen wurden einer Sanitätskontrolle unterzogen. Als man uns auszog, stand ich mit dem Kind da und wartete darauf, daß Gas kommt. Es kam Wasser. Wir wuschen uns und beruhigten uns etwas. Dann wurden wir mit dem Zug nach Stuttgart gebracht.“
Die Mütter konnten ihre Kinder nur schlecht versorgen, sie hatten selbst nicht genug zu essen. Morgens gab es eine Tasse Kaffee-Ersatz und 150 gr Brot, mittags und abends eine dünne Suppe. Die Räume und die Umgebung waren unsauber und es gab keine ärztliche Versorgung. Die Nazis bezeichneten die Kinder der Ostarbeiterinnen als „rassisch minderwertig, unnötige Esser, die kein Lebensrecht haben“. Die Eltern mussten immer schwer arbeiten und hatten keine Zeit für ihre Kinder. Wenn ein Kind starb, wurde zwar der Tod bescheinigt, aber es fand keine namentliche Beerdigung statt. Die Kinder wurden in Massengräbern oder am Rand des Friedhofs vergraben.
Zeitzeugenzitat einer russischen Arbeiterin: „Es gab eine Vesperpause, aber da wir nichts zu essen hatten, gingen wir auf die Toilette, um die Deutschen nicht essen sehen zu müssen. Mittags aßen wir in der Fabrik, aber das Essen wurde im Lager gekocht und mit einem Lastwagen hergebracht. Die Suppe war aus Gemüse, niemals Fleisch oder Eier. Wir hatten solchen Hunger.“
Zeitzeugenzitat von Frau Brodbeck aus Möhringen: „Die Russinnen wurden schlecht behandelt, die haben nur ein Stückle Brot gekriegt. Ich bin mit meiner Mutter mit unserem selbstgebackenen Brot vom Bäcker durch den Ort gegangen, da war eine Russin und sagte leise „Hunger, Hunger.“. Meine Mutter hat ihr Brot gegeben, da ist sie vor uns auf die Füß gefallen und hat meiner Mutter die Händ geküsst.“
2. August 1943 Das Liegenschaftsamt der Stadt Stuttgart ordnet die Beschlagnahmung des Grundstücks an. Bisher gehörte das Gelände der Stuttgarter Hofbräu AG und wurde als Sportplatz genutzt.
Ende Juni 1944 Fertigstellung des Zwangsarbeiterlagers mit vier Wohnbaracken, einer Wasch- und einer Verwaltungsbaracke sowie ein Kohlenschuppen.
1944 – 1945 Internierung im Kriegsgefangenenlager Haldenwies Möhringen von holländische Zwangsarbeiter und sowjetische Zwangsarbeiterfamilien, insgesamt 472 Menschen.
8. Mai 1945 Kriegsende. Die überlebenden Zwangsarbeiter*innen wurden von ihren eigenen Regierungen abgeholt und in ihre Heimatländer gebracht. Nach Kriegsende hausten in den Baracken wohnungslose Menschen, die Möhringer haben sich über die „unhaltbaren Zustände in der Haldenwiese“ damals beschwert.
1967 wurden die verwahrlosten Baracken abgerissen und das Gelände der Hofbräu AG zurückgegeben.
1972 Gründung des Vereins Jugendfarm Möhringen-Vaihingen e.V. durch eine Elterninitiative. Auf dem inzwischen leergeräumten Gelände wurden nach und nach Gebäude in Eigenarbeit errichtet.
Auf der Jugendfarm besteht die Möglichkeit eine umfangreiche Dokumentation mit Bildern und Kopien von Akten sowie Dokumenten aus der Zeit einzusehen. Diese Dokumentation wurde erstellt anlässlich der Stolpersteinverlegung von Marion Kalka in Zusammenarbeit mit Elisabeth Marquart sowie engagierten Jugendlichen der Jugendfarm: Alia, Emma, Emil, Kathi, Layla, Lena, Lina, Lou, Nelly, Simona, Tim und Viva. Danke!